Kompositionen

Im Rahmen der Ausstellungseröffnung Am Rand der Wörter am 7. Mai 2014 um 19 Uhr in der Zentralbibliothek der Stadt Köln (LiK-Archiv, 2. OG), Josef-Haubrich-Hof 1 | Neumarkt, 50676 Köln waren zwei Jens Hagen gewidmete Kompositionen zu hören.

(Das Glockenspiel für Jens von Klarenz Barlow wird noch einmal zum Abschluss der Veranstaltungsreihe Nie ankommen in der Gesprächsveranstaltung am 7. August erklingen.)

Klarenz Barlow
Glockenspiel für Jens (2004), 1’28”

Im Jahr 2004 verstarb mein Freund, der Kölner Schriftsteller und Fotograf Jens Hagen im Alter von 60 Jahren. Genau zu dieser Zeit wurde ich gebeten, ein Stück für das computerisierte Kölner Rathaus-Glockenspiel zu schreiben. Ohne modernistische Klänge der breiten Öffentlichkeit auf dem Rathausplatz aufdrücken zu wollen und, im Gegenteil, um die „Kölschheit“ meines verstorbenen Freundes zu ehren, habe ich Glockenspiel für Jens auf der Basis acht bekannter Kölner Karnevalslieder komponiert, die Stellen gemeinsamer Harmonien durch individuelle abwechselnde Beschleunigungen und Verlangsamungen gleichzeitig erreichen.

Klarenz Barlow, April 2014

Glockenspiel für Jens_graph

Michael Rüsenberg
3.298 Schritte bis zum Dom, Klangdenkmal für JH (2005/2014), ca. 9’

Jens Hagen kannte ich lange nur flüchtig. Wenn ich mich recht erinnere, bin ich erstmals anlässlich der Recherchen zu unserem Film über die Essener Songtage mit ihm in Kontakt getreten, 1988. Er hatte auf jener legendären Veranstaltung fotografiert, 1968.

In den 90ern besuchte er einige meiner HEAR.ing-Abende im Stadtgarten, und ich lernte ihn als den kennen, als der er mir seither in Erinnerung ist – als Klangsensibler, als Ohrenmensch. Jens hatte zu meiner Verwunderung in Köln schon Klangspaziergänge unternommen, als die Idee der soundwalks aus Vancouver noch gar nicht importiert war. Ich sehe ihn noch, nach einem Stadtgarten-Termin von jüngeren umringt, mit ihnen einen Termin vereinbaren.

Unvergessen, wie er später meinem Bruder und mir im Krankenhaus in Koblenz, vom Brustbein abwärts gelähmt, den Klang der Rollstühle auf den Krankenhausfluren ausmalte und das Knattern der Rotorenblätter zu seiner rechten. Wir waren gerührt: er trug uns einige seiner dort entstandenen Lautgedichte vor, sie waren Literatur & Sprechtherapie zugleich. Seine Gedanken konnte Jens aufzeichnen, seine visuellen Eindrücke auch, für die akustischen war er auf die Sprache angewiesen – wir diskutierten eingehend DAT-Recorder versus Minidisk. Er soll später tatsächlich etwas aufgenommen haben, ich hätte es liebend gern verwendet, die Aufnahme ist verschollen.

Als Grundlage für meine Klangkomposition habe ich Teile des „3.298 Schritte“-Kapitels aus dem Köln Poem gewählt: einmal wegen der faszinierenden, unüberbietbaren Plausibilität der Titelzahl (wer wollte nachprüfen, ob die Maßangabe stimmt?), vor allem aber wegen der lautmalerischen Anteile (z.B. „Blatt in der Maschine – tack, tack, tack, tack, tack, tack“, ich habe diese Stelle Reggae-fiziert).

„3.298 Schritte bis zum Dom…Klang-Denkmal für JH“ ist aus 6 Klangquellen geschichtet: der Textspur von Jens sowie seinen Einschüben auf der Nasenflöte aus derselben Performance; sie sind hier zu „Vogellauten“ verfremdet (eine Referenz an eines seiner Hörspiele, worin jede Bestellung in einem Restaurant mit einer Vogelstimme quittiert wird).

Zwei Klangquellen stammen aus dem Sommer 2004, aus der Zeit unmittelbar um Jens’ Todeszeitpunkt herum; er hat sie nicht mehr wahrnehmen können, sie wären ihm aber ganz sicher nicht entgangen: die quietschende Behelfsbrücke über der Trankgasse, die für ein paar Monate die Domplatte mit dem Bahnhofsvorplatz verband. Und zum Schluss die Blue Parade, eine Art Love Parade auf dem Wasser. Ich bin sicher, Jens hätte dieses faszinierend-abstossende Dröhnen an irgendeinem Abschnitt der Kölner Rheinufer mitbekommen. Beide sind vanished sounds, verschwundene Klänge, die nicht mehr wiederkehren.

Und schließlich liegen da zwei Kölner Klang-Obligati, musikalisch gesprochen, zwei Ebenen, die nicht weggelassen werden dürfen, zwei ewige kölsche Quellen: die Domglocken, nebst Skatern auf dem Roncalliplatz, sowie der Strom breitesten Kölsch´ aus der Taxizentrale.

Michael Rüsenberg, April 2014
http://www.realambient.de/index.php/news

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